Die Preisträger der diesjährigen Buchmesse: Barbi Marković (r.), Tom Holert und Ki-Hyang Lee in Leipzig. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Hendrik Schmidt/dpa)

Mit einem experimentellen Horror-Comic-Roman hat Barbi Marković den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik gewonnen. Die 1980 in Belgrad geborene Autorin wurde für ihr Buch «Minihorror» ausgezeichnet. «Barbi Marković erzählt hinreißend komisch und bitterernst von unserer Gegenwart, der Mensch im Spätkapitalismus wird dabei notgedrungen zur Witzfigur», sagte Jury-Mitglied Shirin Sojitrawalla bei der Verleihung.

In ihrem Buch beschreibt Marković in Anlehnung an den beliebten Micky-Maus-Comic den Alltag der Protagonisten Mini und Miki – der vor allem durch zahlreiche Horrorszenarien geprägt ist. Auch in ihrer Dankesrede, die sie – wie sie sagt – kurz vorher in der Kantine vorbereitet hat, erzählt die Autorin eine Horrorgeschichte, in der sich Mini verschluckt und auf der Bühne stirbt.

Darum geht es im Gewinner-Buch

Die Belletristik-Preisträgerin hat Germanistik studiert und lebt seit 2006 in Wien. Ihr Buch ist im Residenz Verlag erschienen. Es geht um die albtraumhaften Erlebnisse von Mini und Miki, im Urlaub, auf Familienbesuch und auch – so scheint es – überall sonst. Groteske Formulierungen lassen den Lesenden immer wieder stolpern. So wird etwa an einer Stelle die Fratze einer familienfressenden Cousine auf gruselig detaillierte Weise beschrieben, dann kommt eine sprachliche Unterbrechung, dann eine unerwartete, witzige Bemerkung. Horror des Alltags, Kapitalismuskritik und Witz stehen nebeneinander.

Tom Holert und Ki-Hyang Lee weitere Preisträger

In der Kategorie Sachbuch/Essayistik wurde der Berliner Kunsthistoriker Tom Holert ausgezeichnet. Sein Buch ««ca. 1972» Gewalt – Umwelt – Identität – Methode» stellt die Zeit nach der revolutionären Euphorie von 1968 in den Mittelpunkt. In der Übersetzungs-Sparte gewann Ki-Hyang Lee für ihre Übertragung von «Der Fluch des Hasen» von Bora Chung aus dem Koreanischen. Die Buchmesse hat den Preis in diesem Jahr zum 20. Mal vergeben. Den Veranstaltern zufolge seien 486 Neuerscheinungen aus 177 Verlagen eingereicht und von einer siebenköpfigen Jury gesichtet worden.

Jury-Vorsitzende spricht über politischen Charakter von Literatur

In ihrer Eingangsrede sprach die Jury-Vorsitzende Insa Wilke über die Bedeutung des Buchpreises in politischen Krisenzeiten. «In den vergangenen sechs Monaten hieß ein zentraler Vorwurf Schweigen», sagte sie in Bezug auf die Zeit seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober. «Er wurde von verschiedenen Seiten und in unterschiedliche Richtungen ausgesprochen. Es ging um das Verschweigen von Leid, das Schweigen zu Trauma und zum fundamentalen Verlust einer denk- und lebbaren Zukunft für viele Menschen in Israel, in Gaza und dem Westjordanland, aber eben auch hier bei uns haben jüdische, muslimische und arabisch gelesene Menschen geäußert, das Schweigen der anderen und oftmals auch das Schweigen von Freundinnen und Kolleginnen seit dem 7. Oktober als fundamentale Ablehnung und als existenziell bedrohlich erfahren zu haben.» Bücher gingen aus diesem Schweigen hervor und könnten eine Sprache finden.

Erste Buchmesse unter Führung der neuen Direktorin

Nachdem die Buchmesse ihre Türen am Donnerstag für Besucherinnen und Besucher geöffnet hatte, waren die Hallen im Norden Leipzigs gut gefüllt. Auch ein besonderer Gast war dort unterwegs: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war am Nachmittag für einen Rundgang gekommen, besuchte unter anderem den Stand der Ukraine. Am Abend will Steinmeier in Leipzig mit der Schriftstellerin Anne Rabe und dem Schriftsteller Marcel Beyer über den Zustand der Demokratie diskutieren.

Bis zum Sonntag sind rund 100 Veranstaltungen geplant, 2085 Aussteller aus 40 Ländern präsentieren ihre Bücher und Neuerscheinungen. Auf dem Messegelände finden während der Messetage seit 10 Jahren zudem die Manga-Comic-Con und seit 30 Jahren die Antiquariatsmesse statt. Auch das Lesefest «Leipzig liest» lockt mit 2800 Veranstaltungen an 300 Orten in der ganzen Stadt. Die diesjährige Messe ist die erste unter der Führung der neuen Direktorin Astrid Böhmisch. Vergangenes Jahr hatte sich der langjährige Messe-Chef Oliver Zille überraschend zurückgezogen.

Als Gastland der Leipziger Buchmesse 2024 präsentieren sich in diesem Jahr die Niederlande und die belgische Region Flandern als gemeinsamer Sprach- und Kulturraum unter dem Motto «alles außer flach».

«Wir stehen für das freie Wort» – Reaktion auf Protest bei Scholz-Rede

Die offizielle Eröffnung der nach Frankfurt zweitgrößten deutschen Buchmesse fand am Mittwochabend im Leipziger Gewandhaus statt. An ihr nahm auch Bundeskanzler Olaf Scholz teil. Die Rede des SPD-Politikers wurde mehrfach von Demonstranten unterbrochen. Die Messeveranstalter hatten sich daraufhin gegen Hass, Gewalt, Diskriminierung und Antisemitismus ausgesprochen. «Wir stehen für das freie Wort», erklärte Messe-Sprecher Andreas Knaut auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Auch am Freitag wollen die Veranstalter der Messe wieder zahlreiche Besucherinnen und Besucher empfangen – daran soll auch der in Sachsen von der Gewerkschaft Verdi angekündigte Warnstreik nichts ändern. Straßenbahnen und S-Bahnen fuhren demnach weiter zwischen dem Hauptbahnhof und dem Messegelände.

Nach einem positiven Vorverkauf wird in diesem Jahr mit einem Plus bei den Besucherzahlen gerechnet. Im vergangenen Jahr kamen 274.000 Menschen.

von Inga Jahn und Gerd Roth, dpa