Ringo Starr (l-r), John Lennon, Paul McCartney und George Harrison von den Beatles. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bruce McBroom/Apple Corps LTD/dpa)

Paul McCartney kann es selbst kaum glauben. «Dass ich im Jahr 2023 immer noch an Beatles-Musik arbeite, wow!» Mehr als fünf Jahrzehnte nach der Trennung der Beatles ist am Donnerstag eine neue Single der legendären britischen Band erschienen.

«Es ist eine echte Beatles-Aufnahme», betont die 81 Jahre alte Musiklegende in einer kurzen Dokumentation, die am Vorabend der Premiere von «Now And Then» auf Youtube veröffentlicht wurde. «Es ist wahrscheinlich der letzte Beatles-Song, auf dem wir alle gespielt haben.»

«Now And Then» ist ein melancholischer, leicht nostalgischer Mid-Tempo-Song. Stimmliche Harmonien im Refrain, markante Gitarren und Streicher sorgen für den unverkennbaren Beatles-Sound. John Lennons Leadgesang stammt von einer Aufnahme aus dem Jahr 1979.

«Es heißt, mein Vater habe eine Weile mit der Musik pausiert, um mich aufzuziehen», erzählt Sean Lennon, der Sohn von John und Yoko Ono. «Aber zu Hause hat er immer Musik gespielt und dauernd Demos gemacht. Ich erinnere mich, wie er Aufnahmen mit diesen Kassettenrekordern gemacht hat.» Einer der Songs, die Lennon in seiner Wohnung im Dakota Building in New York City aufnahm, war «Now And Then».

1980 wurde Lennon am Gebäude erschossen. Erst 1994 gab seine Witwe Yoko Ono die Kassette mit mehreren Songs Paul McCartney. Gemeinsam mit den beiden anderen Beatles George Harrison und Ringo Starr machte der sich daran, die unvollendeten Lieder fertigzustellen. «Wenn wir drei etwas zusammen machen, wäre das sicher interessant, aber John sollte einfach ein Teil davon sein», sagte Harrison 1995. Im selben Jahr erschienen «Free As A Bird» und «Real Love» auf den «Anthology»-Alben, die unter der Ägide von Starproduzent Jeff Lynne entstanden waren. Doch bei «Now And Then» stießen Lynne und die drei Beatles an ihre Grenzen.

Lennons Stimme auf Kassette

«Da hämmert John auf seinem Klavier herum», beschreibt McCartney die Demo-Aufnahme von 1979. Und genau da lag das Problem. Lennons Stimme ließ sich auf der alten Kassette nicht sauber extrahieren, weil man sie nicht von dem dumpfen Piano-Klängen trennen konnte. «Jedes Mal, wenn wir mehr von Johns Stimme hören wollten, kam das Klavier durch und hat es überlagert», erinnert sich McCartney an die Arbeit im Jahr 1995. «Irgendwann hatten wir keine Zeit und keine Lust mehr und dachten dann: Naja, vielleicht lassen wir dieses Stück besser weg.»

Als der Gitarrist George Harrison 2001 starb, schien das Projekt endgültig vom Tisch zu sein. «Das war ein ziemlicher Dämpfer», sagt Sänger und Bassist McCartney. «Wir mussten fast 25 Jahre warten, bis der richtige Moment kam, um uns «Now and Then» erneut vorzunehmen.» Ermöglicht wurde das durch Peter Jackson. Der Regisseur der «Herr der Ringe»- und der «Hobbit»-Trilogie hatte 2021 die Beatles-Doku-Serie «Get Back» produziert und dafür mit seinem Team eine revolutionäre Software mit Künstlicher Intelligenz entwickelt. Damit ließen sich einzelne Instrumente und Stimmen isolieren.

Endlich konnte Lennons Stimme von der «Now And Then»-Aufnahme vom Klavier getrennt werden. «Und da war sie, Johns Stimme, kristallklar», freut sich McCartney. «Wir konnten Johns Stimme nutzen und versuchen, eine Aufnahme zu machen», sagt der 83-jährige Ringo Starr. «Näher können wir nicht rankommen, ihn im selben Raum zu haben.»

McCartney: «Hommage an George»

Erst spielte McCartney den Bass neu ein und sang dazu, dann spielte Starr das Schlagzeug ein. Die E- und Akustik-Gitarren, die George Harrison schon 1995 aufgenommen hatte, wurden hinzugefügt. Außerdem spielte McCartney ein Slide-Gitarren-Solo im Stil von Harrison. «Das war wirklich eine Hommage an George.» Für die Orchestrierung zeichnete Giles Martin, Sohn des legendären Beatles-Produzenten George Martin, verantwortlich. «Giles hat ein Arrangement entwickelt, wie es sein Vater früher gemacht hätte», sagt McCartney.

26 Jahre nach den letzten neuen Beatles-Songs dürfte «Now And Then» für viele Beatles-Fans eine emotionale Angelegenheit sein – und das ist es auch für die beiden überlebenden Beatles. «Es ist, als wäre John da. Echt verrückt», sagt Ringo Starr in dem Doku-Kurzfilm. «All diese Erinnerungen kommen hoch», berichtet sein Bandkollege McCartney. «Mein Gott, was für ein Glück hatte ich, diese Männer in meinem Leben zu haben und so eng mit ihnen zusammenzuarbeiten.»

Zweifel daran, dass John Lennon das Projekt gutgeheißen hätte, hat Paul McCartney nicht. «Stellen wir uns vor, ich könnte John fragen: «Hey, John, würdest du wollen, dass wir dein letztes Lied fertigstellen?» Ich bin überzeugt, die Antwort wäre «Ja» gewesen, er hätte das geliebt.» So sieht es auch Sean Lennon, der sich über die wahrscheinlich letzte Beatles-Single freut. «Mein Vater hätte das geliebt, weil er immer an neuer Aufnahme-Technologie interessiert war», sagt er. «Ich finde, es ist wirklich wunderschön.»

Von Philip Dethlefs, dpa