Die Band Deichkind bei der Verleihung des Musikpreises «Polyton» in Berlin. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Gerald Matzka/dpa)

Es soll alles ein bisschen anders sein, der Fokus soll nicht nur auf Kommerz liegen: Das zumindest haben sich die Macher der Akademie für Populäre Musik beim Polyton-Musikpreis als Ziel gesetzt.

In insgesamt acht Kategorien wurden in Berlin Künstlerinnen, Künstler und Kollektive ausgezeichnet, aber ohne lange Reden und Händeschütteln. Stattdessen interpretierten Tänzer die Gewinner-Werke in einer einstündigen Show künstlerisch, während die Gewinner-Namen auf einer Leuchtanzeige vorbeiliefen. Die Preisträger selbst kamen hinterher nur für gefühlt fünf Minuten auf die Bühne.

Von Musikschaffenden für Musikschaffende

Live-Gesang bei der Musikpreisverleihung gab es aber auch. So präsentierte etwa Herbert Grönemeyer sein neues Lied «Kaltes Berlin», eine Art nostalgischer Blick ins Jetzt. Außerdem performten Bosse, Paula Hartmann und Graf Fidi.

Der neue Polyton-Musikpreis ist eine Auszeichnung von Musikschaffenden für Musikschaffende. Die Preise vergibt die Akademie für Populäre Musik, deren Mitglieder unter anderem Shirin David, Herbert Grönemeyer, Johannes Oerding und Judith Holofernes sind. Insgesamt 50 Künstlerinnen und Künstler verschiedener Musikgenres sind Teil der Akademie.

Gewonnen haben nicht nur die Großen

Obwohl für die insgesamt acht Preise Künstlerinnen und Künstler verschiedener Bekanntheitsgrade nominiert waren, waren es durchaus nicht nur die bekannten Gesichter, die geehrt wurden. Bekannte Nominierte waren etwa Peter Fox, Helene Fischer oder Casper beziehungsweise ihre Teammitglieder. Die Veranstalter legten von Anfang an großen Wert auf Diversität.

Zu den bekanntesten Gewinnern gehörte Peter Fox, er erhielt einen Preis in der Kategorie «Performance». Für seine diesjährige Tour konnten sich Fans vorab als Tänzer bewerben und dadurch «jedes Konzert in eine Mitmach-Party» verwandeln, hieß es zur Begründung. In der Kategorie «Bühne» konnte sich der Kopf hinter den Konzerten von «Deichkind Live 2022» durchsetzen: Henning Besser habe «den Deichkind-Wahnsinn in ein innovatives Bühnenkonzept» übersetzt, urteilten die Preisverleiher.

Für die Komposition des Mini-Albums «versprochen, alles wird gut!» wurde das Pop-Duo Blumengarten ausgezeichnet, in der Kategorie «Text» überzeugten Schauspielerin und Sängerin Paula Hartmann und die Rapperin Céline mit dem Lied «3 Sekunden», das sexualisierte Gewalt thematisiert. Auch bei den Gewinnern der Kategorie «Digital» ging es um sexuelle Übergriffigkeit – die Gewinner sind der Zusammenschluss #musicmeetoo.

«Ceasefire!»

Den Preis in der Kategorie «Produktion» bekam die Komponistin, Produzentin und Sängerin Sofia Kourtesis für die Single «Madres». In der Kategorie «Teamwork» wurde «A Song For You» gekürt, eine Chor-ähnliche Plattform für BIPoC, also Menschen, die rassistische Diskriminierung erleben.

Bei ihrer Performance riefen die Sängerinnen und Sänger mehrfach energisch «Ceasefire!». Dafür bekamen sie vom Publikum lauten Applaus. Mit der Forderung nach «Ceasefire» verlangen derzeit viele Menschen ein Ende der Kämpfe in Gaza zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas. Die «Wildcard» – eine Kategorie ohne klare Kategoriebeschreibung – erhielt die Initiative Femme Bass Mafia für ihre DJ-Bildungsarbeit für alle Menschen, die nicht cis-männlich sind.

Lange geplant, endlich da

Die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hatte im Juli 2021 die Planung für einen neuen Musikpreis angekündigt, ebenso die Gründung der Akademie. 2018 wurde der «Echo» – damals einer der bekanntesten Musikpreise Deutschlands – eingestampft. Vorausgegangen war eine Kontroverse über die Rapper Kollegah und Farid Bang. Sie hatten einen Echo bekommen, obwohl Textzeilen als antisemitisch kritisiert worden waren.

Um einen Echo zu erhalten, waren lange vor allem Verkaufszahlen entscheidend. Das sollte beim neuen Preis anders werden, kündigte Grütters damals schon an. Es sei Zeit für einen Preis, der «frei von kommerziellen Aspekten ausschließlich künstlerische Leistung würdigt», sagte sie.

«Qualität, nicht Quantität»

Diese Idee liegt jetzt Polyton zugrunde, wie Grütters Nachfolgerin im Amt, Claudia Roth (Grüne), bei der Eröffnung sagte. «Polyton orientiert sich an Qualität, nicht an Quantität.» Polyton sei darüber hinaus kein Publikumspreis und auch kein Branchenpreis. Hingegen schaffe die Auszeichnung eine Plattform, in der «traditionelle und hierarchische Barrieren» aufgebrochen würden.

Wohl mit Blick auf die Kontroverse von vor fünf Jahren fand Roth klare Worte für die erste Ausgabe des Polyton. «Hier gibt es keinen Platz für Menschenverachtung, hier gibt es keinen Platz für Ausgrenzung oder Diskriminierung.» Auch Antisemitismus, Rassismus, Homophobie oder Sexismus seien nicht erwünscht. Für diese Worte bekam sie viel Applaus. «Diese Akademie, dieser Preis stehen für Empowerment, für Zusammenhalt und für gesellschaftlichen Diskurs – auch außerhalb der Musikindustrie.»

Bei Polyton handle es sich darüber hinaus nicht nur um eine Preisverleihung an einem Abend, sondern um ein mehrtägiges Event der Musikbranche. Zwischen Mittwoch und Samstag wurden und werden in dem Rahmen Vorträge oder Lesungen gehalten.

Von Weronika Peneshko, dpa