Nachwuchsregisseurin Sabrina Sarabi konnte beim Filmfestival in Locarno überzeugen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: -/Weydemann Bros./dpa)

Bis zum Samstag zeigt die 74. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Locarno 209 Kurz-, Spiel- und Dokumentarfilme am Schweizer Ufer des Lago Maggiore.

Im Wettbewerb der dem Nachwuchs vorbehaltenen Sektion «Cineasti del presente» («Filmemacher der Gegenwart») gehört die deutsche Romanverfilmung «Niemand ist bei den Kälbern» zur Halbzeit zu den Favoriten. Ein Gespräch mit der Autorin und Regisseurin Sabrina Sarabi.

Frage: Sabrina Sarabi, was hat Sie als westdeutsche Städterin daran gereizt, einen Film um eine junge Frau, Christin, auf dem Land, im einstigen Osten Deutschlands, zu drehen?

Antwort: Für meinen zweiten Film war ich explizit auf der Suche nach etwas, was ich nicht kannte. Zudem hatte ich vor dem ehemaligen Osten Angst. Eine Vorstellung von mir war, dass da ganz viele Nazis rumlaufen. Es hat mich gereizt, zu erkunden, wie es wirklich ist.

Frage: Was haben Sie herausgefunden?

Antwort: Dass es die Nazis wirklich gibt. Aber nicht nur sie. Man trifft viele tolle Menschen. Und es gibt, anders als in der Stadt, eine stärkere Nachbarschaft, die über das flüchtige Grüßen im Treppenhaus hinausgeht. Man ist füreinander da. Die Kehrseite ist, dass alle alles wissen möchten. Da fühlt man sich manchmal auch ein bisschen zu sehr beobachtet.

Frage: Wie beschreiben Sie ihr generelles filmisches Thema?

Antwort: Ich schaue gern tief in die Psyche der Figuren. Es ist spannend herauszufinden, was die Umwelt mit einem Menschen macht. Ich glaube, dass viele Leute wie Christin das Problem haben, keine Entscheidungen treffen zu können, dass sie etwa jahrelang nicht aus festgefahrenen Beziehungen rauskommen, weil sie sich nicht entscheiden können. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen oft im Umfeld der Leute.

Frage: Die Aufnahme des Films auf dem Festival war überaus gut, sehr warmherzig. Wie haben Sie es erlebt, Ihren Film hier in Locarno vorzustellen?

Antwort: Es fühlt sich für mich wie ein nächster größerer Schritt in meinem Beruf an. Das ist sehr schön. Toll ist die Aufmerksamkeit hier, auch die große Kinogeschichte, mit der das Festival verbunden ist. Aber ich war natürlich schon sehr nervös, gerade hier die Weltpremiere zu haben.

Frage: Es wird wenig geredet in Ihrem Film. Vor allem sprechen die Bilder. Ist das für Sie das Entscheidende am Kino?

Antwort: Das kommt auf die Figuren an, um die es geht. Aber ich mag es schon sehr, über Blicke und Gesten zu erzählen. Menschen sprechen ja sehr oft nicht aus, was sie denken und fühlen. Und das möchte ich über Bilder erzählen.

Frage: Die Hauptrolle in ihrem Film «Niemand ist bei den Kälbern» spielt Saskia Rosendahl, bekannt aus Filmen wie «Werk ohne Autor» und jüngst «Fabian oder Der Gang vor die Hunde». Sie hat schon in Ihrem Debüt-Spielfilm «Prélude» mitgespielt. Ist da eine Arbeitsfreundschaft entstanden?

Antwort: Ich war bei «Prélude» sehr beeindruckt von ihr. Ich wollte unbedingt wieder mit ihr arbeiten. Beim Lesen des Romans hatte ich sie gleich vor Augen. Sie hat eine beeindruckende Souveränität und eine große Ausdruckskraft. Sie schafft es, dass Langeweile interessant wird.

Frage: Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Kreativität beeinflusst?

Antwort: Ich denke über vieles mehr nach, wie unsere Welt funktioniert, wie sie vorher war, wie sie sich wohl entwickeln wird.

Zur Person: Die deutsch-iranische Autorin Sabrina Sarabi, Jahrgang 1982, wurde in Kassel geboren und studierte später Theater- und Filmwissenschaft an der Universität Utrecht und Regie und Drehbuch an der Kunsthochschule für Medien Köln. Sie lebt in Berlin. Mit ihrem Debüt-Spielfilm «Prélude» errang sie 2019 einen großen Erfolg beim Filmfest München. «Niemand ist bei den Kälbern» ist ihr zweiter Spielfilm.

Von Peter Claus, dpa