Sia scheut die Öffentlichkeit. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Balazs Mohai/MTI/dpa)

Die australische Musikerin Sia könnte einer der größten Popstars der Welt sein – wenn sie wollte.

Sie hat Songs für Rihanna («Diamonds»), Beyoncé («Pretty Hurts») und viele weitere Megastars geschrieben, dann wurde sie mit eigenen Hits wie «Chandelier», «Cheap Thrills» oder «Move Your Body» berühmt. Ihre Lieder, oft kraftvoll-düstere Balladen, haben Hymnen-Charakter, wie gemacht für große Stadien.

Nun hat sie ein Musical geschrieben und veröffentlicht parallel ein neues Album mit den Liedern des Films. Doch warum ist Sia nicht so berühmt wir ihre namhaften Kolleginnen?

Vielleicht, weil sie so gut wie nie ihr Gesicht zeigt. Weil sie, seit sie bekannt wurde, meist mit überdimensionierter Perücke auftritt oder mit Papiertüte über dem Kopf. Bei ihren Auftritten und in ihren Musikvideos lässt die 45-Jährige die junge Tänzerin Maddie Ziegler oder andere auftreten, mit einer Perücke, die an Sias eigene Frisur erinnert.

Ziegler ist auch eine Hauptdarstellerin in «Music», dem von Sia geschriebenen Musical, das gerade als Stream auf den Markt gekommen ist. Parallel dazu erscheint das Album mit den Liedern des Films. Er handelt von einem autistischen Mädchen und dessen Familie, ist voller poppig-bunter Gesangs- und Tanz-Einlagen. Sia schrieb nicht nur die Lieder, sondern ist auch Co-Autorin des Drehbuchs und feiert ihr Debüt als Spielfilm-Regisseurin.

Die Lieder sind fröhlicher, als man das von Sia gewohnt ist. Schon vorab wurde die quietschheitere Single «Together» veröffentlicht. Im Musikvideo tanzen die Hauptdarsteller – neben Ziegler die Top-Schauspielerin Kate Hudson, die für ihre Darstellung für einen Golden Globe nominiert ist, und ihr Kollege Leslie Odom Jr. – in bunten Kostümen zum eingängigen Sound.

Glockenspiel läutet Sias unverkennbare Stimme ein, die flexibel zwischen den Registern wechseln kann. In «Together» singt sie kraftvoll und hoch, ab und zu unterbrochen von markanten Krächzern. Sias Stimme ist voluminös, soll aber nicht glattgebügelt klingen.

Das zieht sich durch Sias Leben wie durch ihre Musik: Sie ist ein bisschen kantiger als andere Stars, hat vor ihrer Karriere als Popmusikerin unter anderem Trip Hop und Jazz gemacht. In Interviews erzählte sie von früherer Alkohol- und Drogensucht und dem Stress eines Lebens in der Öffentlichkeit. Deswegen stehen in «Music» andere im Rampenlicht, auch wenn Sia einen kleinen Gastauftritt hat.

Zurück zur Musik des Albums: «Saved My Life» ist mit seinem dramatischen Aufbau ein klassischer Sia-Song. Eine Piano-basierte Ballade, die im Refrain mit einem plötzlich einsetzenden plakativen Stadion-Schlagzeug emotionale Wucht erzeugt. Das Lied ist simpel, doch mit ihrer durchdringenden Stimme verleiht Sia jedem Wort Gefühl.

Das ist ihr Erfolgsrezept: Sie schafft es, zu klingen, als würde sie sich mit jeder Silbe heraus aus der Verzweiflung kämpfen. Das ist Pathos im besten Sinne und passt natürlich zu einem Musical, das davon erzählt, wie eine Außenseiter-Familie gegen die Welt ankämpft.

Der Grat zwischen Pathos und Kitsch ist bekanntlich schmal. Sia gelingt meist das Kunststück, geschickt darauf zu balancieren. Doch ganz so zwingend wie auf früheren Alben sind die Melodien von «Music» leider nicht.

Man denke etwa an ihr gefeiertes Album «This Is Acting» von 2016, das fast ausschließlich Lieder enthielt, die von anderen Künstlerinnen abgelehnt wurden. Songs wie «Cheap Thrills» (eigentlich für Rihanna), «Alive» (Adele) oder «Move Your Body» (Shakira) wurden dann große Erfolge.

Doch war Sia am Ende froh, dass nicht andere Musikerinnen diese Lieder sangen? Ihre Auftritte ließen anderes vermuten: Selbst als diese Songs bereits große Renner waren, performte Sia sie weiterhin nur mit verdecktem Gesicht.

Von Lisa Forster, dpa