Nach rund 30 Jahren schrittweiser Sanierung wird die Görlitzer Synagoge als Kulturforum Synagoge Görlitz wiedereröffnet. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa)

Alex Jacobowitz streicht über den Davidstern im Holz der schweren Eingangstür an der Görlitzer Synagoge. «Ihre Stärke ist ihre Authentizität. Dieses Haus zeigt seine Geschichte genauso wie seine Narben», sagt der Vorsitzende und Kantor der Jüdischen Gemeinde Görlitz.

Nach 30 Jahren Sanierung soll der Jugendstilbau am 12. Juli bei einem Festakt als «Kulturforum Görlitzer Synagoge» wiedereröffnet werden – ein historischer Tag. Denn der 110 Jahre alte Bau ist Sachsens einzige Gemeindesynagoge, die den Brandanschlägen der Nationalsozialisten in der Pogromnacht 1938 widerstand.   

Jacobowitz kennt sich mit der Geschichte der Synagoge bestens aus. Der Musiker hat die Corona-Monate genutzt, um die neuen Forschungen über das ungewöhnliche Auf und Ab des früher so prallen jüdischen Lebens an der Neiße für ein Buch zusammenzutragen. Der Künstler mit jüdischen Wurzeln kommt ursprünglich aus den USA, seit Anfang der 2000er Jahre lebt er in Berlin.

Bei einem Konzerte lernte er die ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Görlitz kennen. Sie lud ihn ein, um «ab und zu mal ein paar Gottesdienste zu halten».

Die erste Begegnung mit dem einzigartigen Denkmal jüdischer Kultur und Geschichte vor gut einem Jahrzehnt hinterließ bei Jacobowitz Eindruck. Das Haus kann die Wunden der Vergangenheit nicht verbergen.

Die Einweihung am 7. März 1911 war ein Ereignis. Der Kuppelbau mit verblüffender Farbigkeit im Inneren trägt die Handschrift der Architekten William Lossow und Hans Max Kühne. Ihr Büro entwarf auch das Dresdner Schauspielhaus und den Leipziger Hauptbahnhof. Auf der Kuppel in Görlitz zeigte sich bis 1938 weit sichtbar der Davidstern.

Wer die Synagoge betritt, kann sich vorstellen, wie viele Juden einst hier ihre Gottesdienste feierten. Der Kuppelsaal ist für gut 550 Betende ausgelegt, die kleine Wochentags-Synagoge als zweiter Raum für 50 Menschen. «Zur Hoch-Zeit lebten über 650 Juden in der Stadt. Es gab jüdische Schulen, jüdische Stiftungen, jüdische Unternehmer, Sportvereine, ein volles Gemeindeleben mit der Synagoge im Mittelpunkt», weiß Jacobowitz. Dieses Miteinander endete mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. 

Jacobowitz‘ Recherchen zeigen, dass mit Verfolgung und Restriktionen immer mehr Mitglieder der jüdischen Gemeinde die Stadt verließen. Andere harrten aus und erlebten ihr brennendes Gotteshaus in der Nacht zum 10. November 1938. Ein Unbekannter hatte die Synagoge angezündet. Die Feuerwehr löschte den Brand. Jacobowitz vermutet, dass ein nahe wohnender SS-Mann Angst hatte um sein eigenes Hab und Gut.

Im September 1940 gab es einen letzten Gottesdienst, die Orgel wurde schon 1938 an die katholische St.-Bonifatius-Kirche im Osten der Stadt, dem heutigen Zgorzelec, verkauft. Der Synagoge selbst drohte der Abriss, es gab aber auch Umbau-Pläne. Doch nichts davon wurde umgesetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fand sich eine Handvoll jüdischer Überlebender des Terrors zusammen. Verwaltet wurde ihr kirchliches Leben durch die jüdische Gemeinde in Dresden. Sie entschied Mitte der 1950er Jahre, das einstige Gotteshaus an die Stadt zu verkaufen. Zehn Jahre später war man sich einig.

Die Rettung lag trotzdem in weiter Ferne. Die DDR-Kulturpolitik versagte, stattdessen lagerten in der Synagoge etwa Requisiten des Theaters. Der Verfall war kaum aufzuhalten, die Wunden wurden immer größer. 

Anfang der 1990er Jahre stürzten Teile der Kuppel ein. Es folgten eine Bausicherung und Konzepte. Ein Förderkreis gründete sich, um «überhaupt wieder in die Synagoge zu kommen», sagt dessen Vorsitzender Markus Bauer. Eine kleine jüdische Gemeinde fand sich zusammen, ab 2008 wurden gelegentlich wieder Gottesdienste gefeiert.

Auch sonst erblühte das jüdische Leben wieder. Es gab mehr Veranstaltungen zu jüdischer Kultur und Geschichte. 2012 erhielt der Sakralbau im städtischen Eigentum die Aufnahme in die Liste national wertvoller Kulturdenkmäler. Fünf Jahre später stand das Nutzungskonzept als Veranstaltungs- und Begegnungszentrum – mit Gebetsraum und zugleich als Ort für Konzerte, Theater, Lesungen, Diskussionen, Ausstellungen und Konferenzen. Die Gesamtkosten der Sanierung werden von der Stadt mit 12,6 Millionen Euro beziffert.

«Ich wünsche mir, dass es ein Ort der Erinnerung, Begegnung und des vielfältigen kulturellen und gesellschaftlichen Angebots wird», sagt der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu. Künftiger Betreiber ist die Görlitzer Kulturservicegesellschaft. Der Förderkreis will ein Veranstaltungsprogramm für das Haus aufstellen. Neben jüdischer Geschichte soll dessen Inhalt Toleranz, Dialog der Religionen und Widerstand gegen Rassismus sowie Antisemitismus vereinen.

Für die Rückkehr des Davidsterns haben die Gemeindemitglieder 70 000 Euro gespendet. «Ein Davidstern gehört als Symbol auf eine Synagoge. Wir wollen in der kleinen Wochentagsynagoge wieder Gottesdienste feiern, die offen sind für alle. Wir wollen erklären, was es heißt, Jiddisch zu sein», sagt Jacobowitz.

Der Davidstern soll bis Ende 2021 wieder auf die Kuppel kommen. Dann ist jüdisches Leben weithin sichtbar zurück an der Neiße – und vielleicht werden an diesem Tag auch die Narben ein bisschen blasser.

Von Miriam Schönbach, dpa