John le Carré ist im Alter von 89 Jahren gestorben. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa/Archiv)

Auch erfolgreichen Autoren von Spionage-Literatur fällt es meist schwer, als ernsthafte Schriftsteller wahrgenommen zu werden. John le Carré war eine seltene Ausnahme.

Seit der Brite 1963 mit «Der Spion, der aus der Kälte kam» auf die literarische Bühne stürmte, gehört er zu den respektierten Autoren. Denn auch wenn in seinen Büchern Spione, Doppelagenten oder Waffenhändler agieren – das Leitmotiv der Geschichten waren immer Grundthemen des Lebens: Lügen, Liebe, Verrat.

Und John le Carré war ein Meister der Spannung. Es ging um Leute, die im Dunkeln auf ihr Schicksal warten, den Herzschlag in der Kehle. Liebende, die vom Strudel der Ereignisse auseinandergerissen werden. Arglose Menschen, die in eine Spionage- oder Mafia-Affäre stolpern. Schaffen sie es, oder schaffen sie es nicht?, lautet die Frage, die den Leser immer schneller eine Seite nach der anderen umblättern lässt. Manchmal ja, manchmal nein, zuletzt häufiger nicht. «Ich überbringe selten gute Botschaften», sagte le Carré selbst augenzwinkernd.

Die Kunst, Geschichten zu spinnen, wurde le Carré – mit vollem bürgerlichen Namen David John Moore Cornwell – in die Wiege gelegt, wenn auch auf eher dramatische Weise. Seine Mutter, eine Schauspielerin, verließ die Familie als er fünf Jahre alt war. Sein Vater war ein Hochstapler, der zwischen erschwindeltem Reichtum und Knast pendelte und sich viel später manchmal auch mal für seinen Sohn, den berühmten Schriftsteller, ausgab, um Frauen zu beeindrucken. «Wir lebten ständig in Lügen», erinnerte sich le Carré. «Da hieß es, mein Vater war im Urlaub. Nur, dass er nicht im Urlaub war, sondern im Gefängnis.» Überall traf er auf Verschwörung und Verrat.

Dieser Lebensanfang bescherte David Cornwell eine unbändige Fantasie – und ein Streben nach Stabilität, das ihn in die Arme des britischen Geheimdienstes trieb. In den 50er Jahren kam er unter Diplomaten-Deckmantel nach Deutschland, war als Agent aber nicht sonderlich erfolgreich. Eines Tages sollte er einen Gegenspieler von den Sowjets bei sich zu Hause als möglichen Doppelagenten durchfühlen. «Der Russe kam, trank Wodka, spielte Cello – und sagte den ganzen Abend kein Wort. War das ein Reinfall!», erinnerte er sich. Ein anderes Mal tauchte ein Agent, auf den er warten sollte, schlicht nie auf. Wer weiß, was aus dem Geheimdienstler Cornwell geworden wäre, doch dann entstand «Der Spion, der aus der Kälte kam».

Das dünne Buch, in wenigen Wochen fieberhaft auf Papier gebannt, veränderte Cornwells Leben – und auch die Kunst des Spionageromans. Gut und Böse waren verschmolzen zu grau, die Agenten waren keine Helden, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. «Die beste Spionage-Geschichte, die ich je gelesen habe», urteilte Genre-Veteran Graham Greene. Der Roman erschien unter dem Namen John le Carré und anfangs wusste niemand, wer sich dahinter verbarg. Als die Wahrheit ans Licht kam, war es endgültig vorbei mit der Geheimdienstkarriere.

Stattdessen schrieb le Carré fortan über die Welt der Agenten und landete wenige Jahre später seinen größten Erfolg mit George Smiley, dem desillusionierten Meisterspion, der ständig von seiner Frau betrogen wird und an der skrupellosen Realität seiner Branche leidet. Vor rund einem Jahrzehnt wurde das wohl bekannteste Smiley-Buch, «Dame, König, As, Spion» neu verfilmt, mit Gary Oldman in der Hauptrolle. «Er war großzügig mit seiner Kreativität und immer ein wahrer Gentleman», würdigte Oldman den Schriftsteller am Montag. Le Carré ließ die Geschichte im Buch «Das Vermächtnis der Spione» 2017 noch einmal aufleben – und rechnete dabei auch mit der Generation des Kalten Krieges ab, die es nicht vermochte, eine bessere Welt zu schaffen. Es hätte auch «Smileys Sünden» heißen können.

Der Fall des Eisernen Vorhangs nahm Le Carré die eingespielte Arena für seine Geschichten, und er richtete seinen kritischen Blick nach Hause, in den Westen. In seinen Büchern ging es um den Waffenhandel, Machenschaften von Pharma-Konzernen, den Krieg gegen den Terror oder den Einfluss der russischen Mafia. Als Publizist kritisierte er die US-Außenpolitik, insbesondere den Krieg gegen den Terror zu Zeiten von Präsident George W. Bush («Amerika ist verrückt geworden»), und forderte mehr Toleranz für den Islam.

«Federball», der letzte seiner veröffentlichten Romane, drehte sich im vergangenen Jahr um den Brexit. In die Worte der Figuren ließ er viel von seinen eigenen Ansichten einfließen: So warnt ein junger Geheimdienstler, dass sich Großbritannien mit dem «beschissenen Chaos» des Brexits in uneingeschränkte Abhängigkeit von den USA begebe und US-Präsident Donald Trump «eine Bedrohung der gesamten zivilisierten Welt» sei. Le Carré selbst beklagte die «absolute Idiotie» von Trumps Handeln, das noch lange nachwirken werde. Und er verurteilte den Brexit. «Ich habe wirklich Angst, Europa zu verlassen. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir bleiben, wir den Geist Europas stärken können, und helfen, ein wirkliches Gegengewicht zu den USA, zu China zu schaffen», sagte er in einem dpa-Interview.

Le Carré lebte zurückgezogen mit seiner zweiten Frau Jane in London und in Cornwall, wo er am Samstag starb. Nach einem turbulenten Leben mit Abenteuern rund um die Welt auf seinen Recherchereisen und auch einiger ehelicher Untreue hatte er seinen Frieden gefunden. «Ich fühle mich bereit, zu sterben», sagte le Carré bereits vor einigen Jahren. «Wenn alles sehr bald vorbei sein sollte, würde ich nichts außer Dankbarkeit spüren. Es wäre eine Sünde, für ein Leben wie meins nicht dankbar zu sein.»

Copyright 2020, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten, Von Andrej Sokolow, dpa