Lesung auf der Leipziger Buchmesse 2018. In diesem Jahr soll es trotz der Absage etliche Veranstaltungen geben. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa)

Zwei Hashtags bringen die Stimmung in der Kulturszene von Leipzig in dieser Woche auf den Punkt: #leipzigliesttrotzdem und #leipzigliestweiter.

Unter diesen Schlagworten wird im Internet für Lesungen und Diskussionsrunden getrommelt. Auf eigene Faust haben Verlage und Kulturschaffende Lesefestivals als Alternative zur erneut abgesagten Leipziger Buchmesse aus dem Boden gestampft.

Die Botschaft ist eindeutig: Die große Messe ist – zum dritten Mal nacheinander und hauptsächlich wegen des Rückzugs großer Verlage – abgesagt, aber die Buchbranche will auf ihr Frühlingstreffen nicht verzichten.

Am anderen Ende der Republik gab’s hingegen gerade keine Absage: Die Lit.Cologne – nach eigenen Angaben das größte Literaturfestival Europas – startet am Dienstag mit einer Solidaritätsveranstaltung für die Ukraine.

2020 war die Lit.Cologne wegen Corona ausgefallen. Im Frühjahr 2021 fand sie rein digital statt. Für die diesjährige Ausgabe gelten nun 2G-Bedingungen. Vom 15. bis zum 26. März sind knapp 180 Veranstaltungen geplant – fast wie in alten Zeiten. «Es gibt ein großes Interesse an Präsenzveranstaltungen im kulturellen Bereich», sagt Lit.Cologne-Sprecherin Doro Zauner.

Die Liste der mitwirkenden Prominenten ist lang: Anke Engelke, Elke Heidenreich, Dietmar Bär, Bettina Böttinger, Matthias Brandt, Ralph Caspers, Doris Dörrie, Sebastian Koch, Bjarne Mädel und viele mehr. Aus der Politik werden der ehemalige Außenminister Joschka Fischer und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) erwartet. Aus der Welt der Literatur kommen unter anderem der aktuelle Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah, der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, der dänische Krimiautor Jussi Adler-Olsen, der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht, Philosoph Wolfram Eilenberger und Sams-Erfinder Paul Maar. Vor Corona hatte die Lit.Cologne über 100 000 zahlende Besucher.

In Leipzig wollen zwei Festivals, «Buchmesse Pop Up» und «weiter:lesen22», an den Tagen der abgesagten Messe Autoren und Publikum zusammenbringen. Dazu kommen Lesungen an weiteren Orten. «Für uns war nach der Absage der Buchmesse irgendwie klar, dass Leipzig und Literatur zusammengehören», sagt Susanne Tenzler-Heusler, Sprecherin des «weiter:lesen»-Festivals. «Es gibt einfach einen großen Bedarf. Die Frühjahrsbücher sind fertig und suchen ihr Publikum.»

Rund 60 Autorinnen und Autoren aus sieben Ländern sollen bei dem zweitägigen Lesefest mitmachen. Finanziert wird das Ganze über Eintrittsgelder, Sponsoren und Spenden. Bei «Buchmesse Pop Up» machen mehr als 60 Verlage mit. Im Literaturhaus Leipzig werden rund 50 Autorinnen und Autoren zu Gast sein. Dort präsentiert sich auch Portugal, das Gastland, das am Ende ohne Buchmesse bleiben wird.

Für Messe-Direktor Oliver Zille sind die zahlreichen Veranstaltungen ein wichtiges Signal, dass die Buch- und Medienbranche ein Literaturtreffen in Leipzig braucht und will. «All die Initiativen hätte man ja auch an anderen Orten stattfinden lassen können. Aber die Organisatoren der Pop-Up-Buchmesse, zum Beispiel, haben sich ganz bewusst für Leipzig entschieden», sagt Zille. Er sei dankbar, dass die verschiedenen Netzwerke die Literatur in diesem Jahr dezentral unterstützen.

Nach der Absage der Buchmesse waren heftige Debatten ausgebrochen, Vorwürfe wurden erhoben: Große westdeutsche Verlagsgruppen hätten die Messe zur Absage gezwungen, hieß es in einer Petition, die Autorinnen und Autoren wie Simone Buchholz, Anke Stelling oder Bov Bjerg unterzeichnet hatten. Die Verlage beeilten sich zu versichern, dass allein der Gesundheitsschutz bei der Entscheidung im Vordergrund gestanden habe und man auch in Zukunft auf die Leipziger Buchmesse setze. Trotzdem stehen nun drei Absagen nacheinander zu Buche – und damit auch die Frage nach der Zukunft großer Präsenzmessen.

«Ich denke, das Konzept Messe steht letztlich in allen Branchen etwas in Frage», sagt Thorsten Ahrend, Chef des Literaturhauses Leipzig. «Aber jeder, der mal bei einer Konferenz oder einer Messe war, weiß: Das Entscheidende passiert in den Pausen. Das kann das Internet nicht ersetzen.» Er bedauere die Messe-Absage sehr. «Ich hoffe aber, dass die vielen Ersatzveranstaltungen sehr laute Signale aussenden, dass man das Publikum nicht im Regen stehen lassen kann. Die Stadt braucht diese Messe», sagt Ahrend.

Buchmesse-Chef Zille sieht in dem ganzen Engagement «ganz klar eine Bestärkung». «Das, was kommende Woche in Leipzig zu sehen sein wird, ist ja zu großen Teilen aus den Netzwerken der Leipziger Buchmesse entstanden», sagt er. Für 2023 gibt er sich optimistisch, dass es das große Branchentreffen wieder geben wird. Man werde Wege finden, auch wenn Corona nächstes Jahr noch Thema sein werde. «Bei allen Diskussionen: Es war keine Absage an unser Konzept», betont Zille.

Einen kleinen Messe-Baustein wird es aber auch in diesem Jahr noch geben. Am Donnerstag wird der renommierte «Preis der Leipziger Buchmesse» vergeben. Nach zwei improvisierten Distanzlösungen in den Vorjahren sollen die Auszeichnungen diesmal wieder live an die Autorinnen und Autoren vergeben werden – in der Glashalle der Leipziger Messe, auch wenn sie sonst leer sein wird.

Von Birgit Zimmermann, dpa