Ehemalige Industrieanlagen treffen in Esch auf moderne Bauten. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Harald Tittel/dpa)

Nirgendwo in Luxemburg treffen Vergangenheit und Zukunft sichtbarer aufeinander als in Esch.

Neben längst erkalteten braunen Hochöfen stehen moderne Universitätsgebäude mit glänzenden Fassaden, alte Industriegebäude grenzen an schicke Appartementhäuser und auf den Straßen geht es international zu: 120 Nationen sind in Luxemburgs zweitgrößter Stadt zu Hause. An der großen Vielfalt setzt Esch als Europas Kulturhauptstadt 2022 an – und nimmt unter dem Motto «Remix Culture» gleich eine ganze Region mit.

Ein Remix von Tradition und Moderne

Rund 160 Projekte mit mehr als 2000 Events sind es, die die Stadt im Süden Luxemburgs zusammen mit Gemeinden im angrenzenden Frankreich teils grenzüberschreitend plant. «Das ist eine große Chance für Esch und für die ganze Region, zu zeigen, dass wir auch Kultur können», sagt der Bürgermeister der Stadt Esch und Präsident von Esch2022, Georges Mischo.

Bisher habe es Kulturfans immer in die Hauptstadt Luxemburgs gezogen. Das solle sich nun ändern. «Esch2022 ist für uns ein Sprungbrett.» Auf dem Programm stehen Theater, Ausstellungen, Tanz, Performances, Workshops und digitale Kunst – mit verschiedenen Schwerpunkten in den beteiligten Orten: In Luxemburg sind elf Gemeinden, in Frankreich acht Gemeinden mit insgesamt rund 200 000 Einwohnern im Boot.

Thematisch geht es um das, was die Region eint: Eine gemeinsame industrielle Geschichte aus Erz und Stahl, die kulturelle Vielfalt – und Visionen für ein grenzenloses Europa. Durch das «Remixen» in verschiedenen Kategorien (Kunst, Europa, Natur) soll Neues entstehen und – vor allem – die Öffentlichkeit zum Mitmachen bewegt werden.

Die Macher haben Buntes für alle Sinne im Angebot: vom Europäischen Fantastikfestival über kulinarischen «Geschmack der Region», grenzüberschreitendes Theater, Ausstellungen zum industriellen Erbe, moderner Musik bis zum Feuer-Festival. Zugleich lädt Esch2022 zur Erkundung der Grenzregion ein, unter deren Grün sich fast überall die Geschichte von Erz, Eisen und Stahl finden lässt.

Die Region der roten Erde

«Im Süden Luxemburgs hat der Ursprung der Einwanderung in Luxemburg stattgefunden und somit das, was uns mittlerweile ausmacht», sagt die luxemburgische Kulturministerin Sam Tanson. Mit dem Abbau von Eisenerz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen Tausende Arbeiter aus anderen Ländern in die Region mit der eisenhaltigen roten Erde. Heute sind fast die Hälfte der knapp 650 000 Einwohner Luxemburgs Nicht-Luxemburger.

Die große Eröffnungsparty von Esch2022 ist für den 26. Februar 2022 geplant. Sie soll als «Remix Opening» in Esch und Esch-Belval steigen – und zwar auf Plätzen, Bühnen und an Straßenecken mit Live-Musik, DJs, Tanz, Lichtinstallationen und Projektionen. Und: als «partizipative Erfahrung», bei jeder, der will – vom Straßenkünstler bis zum Zirkusartisten – mitmachen kann.

Wegen der zugespitzten Corona-Lage mache man sich aber jetzt wieder Gedanken, sagt Mischo. «Alle größeren Events sind natürlich mit Corona weiterhin in Frage gestellt.» Bei Ausstellungen sehe er keine Probleme, weil man die Zahl der Besucher steuern könne. Andere Veranstaltungen aber könne man nicht mit zwei Metern Abstand stemmen. «Ich bin ein positiver Mensch und hoffe, dass sich die Lage wieder beruhigt», sagt Mischo.

Vor dem offiziellen Start läuft bereits ein Aufwärmprogramm in den Regionen. Die lokale Kunstszene ist dabei ebenso eingebunden wie internationale Spitzenkünstler – mit Veranstaltungen, die nicht besser passen könnten: Wie das mehrsprachige Theaterstück «Idiomatic» im Escher Theater Ende Januar, in der fünf Schauspieler fünf verschiedene Sprachen sprechen.

Für Esch2022 mit dem Schwerpunkt auf Zeitgenössischem hat Esch viel Geld in die Hand genommen. 32 Millionen Euro seien für Umbauten, Renovierungen und Infrastruktur geflossen. Weitere 10 Millionen Euro gab die Stadt zum Projekt, vom Staat kamen 40 Millionen Euro.

Wichtige Ausstellungsorte werden in Esch-Belval auf einem früheren Stahlhüttengelände sein. In einer sanierten Möllerei wird es zum Beispiel Medienkunst geben: Als erste Ausstellung steht «Hacking Identity – Dancing Diversity» vom Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) auf dem Programm. Und in der alten Massenoire, wo Gusseisen entstand, wird es Dokumentarausstellungen zur industriellen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geben.

Allein in der 36 000-Einwohner-Stadt sind 80 Projekte geplant. Wichtiger «Kultur-Pol» in der City ist das Viertel um die neue Kunsthalle, das Theater und ein früheres Kino, das zum Kinder- und Jugendtheater umgebaut wird. Zudem gibt es die Kulturfabrik und das frühere Krankenhaus «Bridderhaus», das zu einer Residenz für Künstler wird. Vor Corona rechneten die Organisatoren mit einer Million bis 1,5 Millionen Besuchern in dem Jahr.

Nicht nur kulturell, sondern auch touristisch soll Esch2022 der Region einen Schub verleihen. Auf einem «Red Rock Trail» können Gäste über 90 Kilometer schöne Natur und bräunlich-rote Erden bestaunen. Und im französischen Micheville ist als neues Kulturzentrum für Kunst, Musik und neue digitale Technologien die «Arche» (L’Arche) entstanden. 1995 und 2007 trug Luxemburgs Hauptstadt den Titel Kulturhauptstadt Europas.

Von Birgit Reichert, dpa