Nico Kleemann (l. als Todd Anderson) und Götz Schubert (r, als John Keating) im Bad Hersfelder "Club der toten Dichter". (Urheber/Quelle/Verbreiter: Uwe Zucchi/dpa)

Ein neuer Blick auf die Welt, eigenständiges Denken und Handeln abseits ausgetretener Pfade, Träume und ihre Verwirklichung gegen Widerstände und überkommene Normen.

Mit der europäischen Uraufführung der Bühnenversion des Stoffs «Der Club der toten Dichter» (vor mehr als 30 Jahren von Peter Weir mit Robin Williams und Ethan Hawke verfilmt) haben die Bad Hersfelder Festspiele am Donnerstagabend ein Aufbruchssignal im doppelten Sinne gesandt. Nach eineinhalb Pandemie-Jahren ist endlich wieder Theater mit Publikum möglich, soll Kultur wieder ihren berechtigten Platz bekommen – und zu einer Schule des Lebens werden, so wie die Poesie-Stunden des Lehrers John Keating im «Club der toten Dichter».

Mit dem Theater- und Fernsehschauspieler Götz Schubert hat Intendant und Regisseur Joern Hinkel für die Hauptrolle die passende Besetzung gefunden. Schubert spielt souverän und leichtfüßig, humorvoll und doch eindringlich. Glaubwürdig rüttelt er als Keating seine Schüler mit dem berühmten Zitat des römischen Dichters Horaz «Carpe Diem» – zu deutsch etwa «Nutze den Tag» – aus ihrer Bequemlichkeit wach und inspiriert sie dazu, sich auf die Suche nach sich selbst zu machen.

Es sind gerade diese jungen Darsteller, die das Stück so lebendig machen: Till Timmermann als Neil Perry, der endlich den Mut findet, seinen Traum von der Schauspielerei umzusetzen und an der Strenge und Engstirnigkeit seines Vaters zerbricht.

Oder Nico Kleemann als der schüchterne Todd Anderson, der mit der Hilfe seines Lehrers über sich hinauswächst und derjenige sein wird, der als erster in der berühmten Schlussszene auf den Tisch steigt, um seinem scheidenden Lehrer seinen Respekt zu erweisen.

Auch Philipp Quell als der selbstbewusste Charlie Dalton und Simon Stache als Knox Overstreet sowie die anderen jungen Schauspieler des Ensembles verkörpern mal sensibel und gefühlvoll, mal temporeich und leidenschaftlich die Gruppe von Internatsschülern im Amerika der späten 50er Jahre – übrigens ohne sich von dem Dauerregen beirren zu lassen, der während der Uraufführung beharrlich auf die Bühne prasselte. Wiederholt erhalten sie vom Publikum Szenenapplaus – und werden auch am Ende mit dem meisten Beifall bedacht.

Intendant und Regisseur Joern Hinkel hatte für die Stiftsruine zusammen mit dem Dramaturgen Tilman Raabke und unter Mitwirkung des Drehbuchautors Tom Schulman eine eigene Fassung des gleichnamigen Hollywood-Films aus dem Jahr 1989 geschrieben.

Die Entstaubung auch des deutschen Bildungssystems ist Hinkel eine Herzensangelegenheit, wie er vor Beginn der Uraufführung deutlich machte. «Ich bedanke mich bei allen Eltern und Lehrern, die bilden, ohne zu bevormunden. Die jungen Leute müssen neu denken, kreativ sein, über den Tellerrand hinwegsehen», forderte der Intendant. Dennoch habe er sich bei seiner Inszenierung bewusst dafür entschieden, den Stoff in seiner Zeit und Umgebung zu belassen, statt das Stück ins Hier und Heute zu übertragen. «Mir erschien das Original immer noch die beste Geschichte.»

Dem Publikum habe er mit seiner Bühnenfassung, die auf modernisierende Elemente wie etwa Computer und Handys verzichtet, Raum für die eigene Fantasie verschaffen wollen, sagte Hinkel. Zuweilen fiel es allerdings etwas schwer, sich gedanklich vom filmischen Original mit Robin Williams in der Hauptrolle zu lösen, weil Hinkels Stück dann doch sehr nah dran ist.

Ein echtes Wagnis ist er also mit dem Stück «Der Club der toten Dichter» nicht eingegangen, aber das dürfte nach der pandemiebedingen Absage der Festspiele vergangenes Jahr und den immer wieder von Sorgen um Infektionszahlen und Corona-Auflagen geprägten Vorbereitungen diesmal auch nicht angesagt gewesen sein.

Schon dafür brauchte es in diesem Jahr viel Mut und auch Vertrauen, dass alles gut gehen wird, wie Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) in ihren Reden zur Eröffnung der 70. Auflage der Bad Hersfelder Festspiele deutlich machten. Umso schöner, dass es nun losgehe – wenn auch mit weniger Zuschauern, verkürzt und ohne roten Teppich und Promi-Schaulaufen zur Eröffnung.

Dabei verwies Lambrecht auf die Geschichte des Festivals: Als es ins Leben gerufen wurde, habe Deutschland noch in Trümmern gelegen und eine neue Demokratie musste erst etabliert werden. Heute gehe es darum, die von der Pandemie besonders getroffene Kunst und Kultur zu neuem Leben zu erwecken. Am besten beschreibe das ein Zitat von Hugo von Hofmannsthal, sagte die Ministerin: «Das ganze Leben ist ein ewiges Wiederanfangen.»

Von Christine Schultze, dpa